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Leichenfledderei in Neustrelitz

Nach dem Ahlbecker Aufmarsch wollen nun auch in Mecklenburg Neonazis mit den letzten Kriegstoten für den Nationalsozialismus werben. Die PDS ruft zum Protest auf.

28.04.2005

Als "Totengedenken" bezeichnen Neonazis die Inszenierung, die für den kommenden Freitag in der Hohenzieritzer Straße am Ortseingang von Neustrelitz geplant ist. Fackeln, Kerzen und Holzrunen werden vermutlich dabei das Bühnenbild abgeben. Mit der Aktion, die der Mecklenburgischen Aktionsfront (MAF) unter ihrem Führer David Petereit zugerechnet wird, soll an die Toten unter der Neustrelitzer Zivilbevölkerung aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges erinnert werden. Ein Verbot durch die Landrätin ist bereits gescheitert. Die PDS ruft zwischen 16 und 16.30 Uhr an am Kugelspringbrunnen am Glambecker See zu einer Kundgebung gegen die Verfälschung der Geschichte auf.

"Was haben meine Brüder in Russland gemacht...?"

Die Kriegsgeschehnisse kurz vor der Niederlage Nazi-Deutschlands halten nicht zum ersten Mal als Argumente der rechten Szenen her. Mit der Aktion in der Nacht zum Samstag suchen die Nazis die Verbindung mit dem 30. April 1945. Damals erreichten die sowjetischen Truppen Neustrelitz - in der Stadt und deren Umgebung kämpften die Deutschen bis zum Schluss. Ein Offizier der Waffen-SS meinte noch kurz vor der Niederlage: "Ich schlage mich für das nationalsozialistische Europa, auf zwei Fronten selbst, selbst sogar, wenn es auf unseren Abschnitt von Neustrelitz eingeschrumpft ist.". Das Bombardement der Alliierten hatte zu dem Zeitpunkt sicher auch die Großmachtträume und Endsieggewißheit der meisten Neustrelitzer/innen zerstört. Demoralisiert im Angesicht der vorrückenden Front und sicher auch im Wissen um die eigene Schuld begangen hunderte Einwohner/innen Selbstmord. In der Folge kam es zu Vergewaltigungen, Brandschatzungen und Morden durch Teile der Roten Armee. Ähnliche Situationen sind auch aus anderen Städten wie Neubrandenburg oder Demmin dokumentiert. Ein gerade erschienenes Buch über das Kriegsende in Ducherow beginnt mit einem Zitat: "Was haben meine Brüder in Russland gemacht, dass die so über uns herfielen?" Derartige Reflektionen sind der MAF naturgemäß fremd. Die Neonazis missbrauchen die Suizide und die Verbrechen sowjetischer Soldaten um die Deutschen als Opfer zu stilisieren. Die Leichenberge des NS-Systems und des deutschen Angriffskrieges finden in ihrer Propaganda keine Erwähnung.

Neonazi meets Alt-Nazi

Ihr angebliches Gedenken an die Toten nutzen Kameradschaften und NPD, um Lebenden eine Plattform zu geben. Das es sich dabei nicht um unschuldige Opfer handelt, sondern um unverbesserliche NS-Senior/innen, wird recht schnell deutlich. Zum Usedomer Aufmarsch vom 16. April karrten westdeutsche Nazi-Skinheads eine "Zeitzeugin" an, deren geifernder Redebeitrag über den herbeiphantasierten "Existenzkampf des deutschen Volkes" die nachfolgenden Äußerungen ihrer Enkel im Geiste Gielnik und Giesen bei weitem übertraf.

Auch in Neustrelitz traf die neue deutsche Jugend schon die alte deutsch-französische Weisheit in Form des ehemaligen SS-Hauptsturmführers Fenét und Heimatforschers Lembke. Für den Burg Stargarder Jungsturm musste ein Stein reichen, da ihr "Held" Otto Ernst Remer glücklicherweise schon tot ist.

Allerdings bedarf es nicht immer einer Einladung aus der extremen Rechte, um Stimmen aus der Vergangenheit zu hören. In Neubrandenburg fanden sich am letzten Wochenende wieder ehemalige Gefangene aus dem berüchtigten NKWD-Lager Fünfeichen ein. Darunter Martha Scheve, die als Gestapo-Sekretärin Folterprotokolle tippte. Wie andere auch spricht sie lieber über sich und die Zustände in sowjetischer Gefangenschaft als über den Haftgrund: "Ich habe doch schließlich niemanden mit der Schreibmaschine erschlagen." Frau Scheve fand es auch schade, dass ihre Freundin Dolly - eine ehemalige KZ-Aufseherin - nicht kommen konnte.

Provokation und Warming up

In Neustrelitz wird auch über weitere Motive der Neonazi-Aktion spekuliert. Von Schüler/innen hört man, dass die MAF auch das Gymnasium provozieren will. Das "Carolinum" beschäftigt sich vergleichsweise intensiv mit Geschichts- und Erinnerungsprojekten. Rechte Propaganda fand sich dort schon gegen eine Anne-Frank-Ausstellung.

Der Nordkurier hingegen vermutet bei der morgigen Veranstaltung einen direkten Bezug zum rechten Aufmarsch wenig später in Neubrandenburg und beruft sich dabei auf "informierte Kreise". In der Vier-Tore-Stadt verzichten die Neonazis am 01. Mai auf die Trauer-Kostümierung - und fordern gleich einen "nationalen Sozialismus".

Links

Alter Wein in neuen Schläuchen
Die Mecklenburgische Aktionsfront vernetzt bestehende neonazistische Strukturen.
links-lang.de vom 19.05.2004
http://www.links-lang.de/0405/10.php

Wem die Geschichte gehört...
Neonazis versuchen in Neustrelitz, Tag der Befreiung inhaltlich zu besetzen
links-lang.de vom 05.05.2002
http://www.links-lang.de/0205/05.php

Obelix in Mecklenburg
Von verschwundenen Findlingen als auch alten und jungen Ewiggestrigen
links-lang.de vom 27.12.2001
http://www.links-lang.de/0112/05.php

Deutsche Täter sind keine Helden!
Am Freitag, dem 18. Juni 2004, wurde mit einer Verhüllungsaktion gegen rechtes "Gedenken" in Burg Stargard protestiert. Bereits drei Wochen zuvor hatten vierzig Antifas in der Kleinstadt bei Neubrandenburg über tausend Flugblätter verteilt. Darin wurde über Neonaziaktivitäten in dem Ort informiert und zu einem stärkeren Engagement gegen rechte Propaganda aufgerufen.
links-lang.de vom 21.06.2004
http://www.links-lang.de/0406/07.php

Das Tagebuch der Maria Meinhof
April 1945 bis März 1946 in Pommern. Eine Spurensuche
http://www.hoffmann-und-campe.de/go/
93dbbced-3048-22ab-57114fcdb8e637b2