links-lang fetzt!

Jetzt wird's eng

In Schwerin fürchten Landtagsabgeordnete, ihre Parlamentssitze an Neonazis zu verlieren. Die Analyse der rechten Entwicklung kommt dabei reichlich spät, es wird noch immer bagatellisiert und praktische Gegenstrategien sind kaum zu erkennen.

28.04.2005

Der Versprecher von Lutz Giesen auf dem letzten rechten Aufmarsch in Ahlbeck scheint programmatisch. Der einschlägig vorbestrafte Neonazi kündigte fälschlicherweise das NPD-Kreistagsmitglied Andrejewksi als Landtagsabgeordneten an. Er korrigierte sich mit den Worten: "Das kommt dann im nächsten Jahr!". Die Gründung eines neuen NPD-Kreisverbandes in Mecklenburg-Strelitz und die unübersehbaren Einigungsbemühungen zwischen Kameradschafts- und Parteinazis dürften durchaus als Wahlvorbereitung interpretiert werden. Langsam scheint dies auch den Landtagsparteien zu dämmern. Zumindest zeigten sich am letzten Donnerstag viele Redner/innen gut informiert und reichlich besorgt. Schon im Januar hatte sich der Landtag mit dem Thema beschäftigt.

Neu war die Einschätzung der Parlamentarier/innen allerdings nicht. Anscheinend bewahrheitet sich auch hier der Ruf des Landstrichs, nachdem in Mecklenburg alles etwas später kommt. Seit Jahren weisen Vereine, Gruppen, Einzelpersonen und Antifas auf die Entwicklungen der rechten Szenen hin. Michael Seidel vom Nordkurier kommentiert den Fakt so: "Aus Angst vor negativen Schlagzeilen wurden rechtsextreme Umtriebe lange in 'normale' Kriminalität uminterpretiert. Lagebilder unabhängiger Initiativen trugen den Makel fördergeldfixierter Abhängigkeiten oder waren wegen ihrer unbequemen Wahrheiten schlicht lästig."

Die Diskussion im Landtag trägt offenbar den Makel parlamentsfixierten Problembewusstseins. Die Situation der Betroffenen rechter Organisierung und Gewalt fanden bisher wenig Beachtung. Selbst auf die Stimmen- und Mandatsgewinne in Kreisen und Kommunen im letzten Jahr reagierte man allenfalls mit Phrasen.

Frisierte Statistik

Und immer noch weigert sich Schwerin, das Ausmaß des Problems zu benennen. Im letzten Jahr zählte der Innenminister gerade noch 21 Gewalttaten von rechts. Allein das Überfliegen der Chronologie von links-lang.de führt zu mindestens doppelt soviel Angriffen. Geht man realistischerweise davon aus, dass den Behörden und Opferberatungseinrichtungen noch etliche weitere Fälle bekannt sein dürften, ist die Äußerung des Ministers fast so dreist wie im Jahr 2001. Damals meldete dieser aus formalen Gründen 0 (null) rechte Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern an Chef Schily.

Gottfried Timm will damit einen angeblichen Richtungswechsel in der rechten Szene, weg von politisch motivierter Gewalt, illustrieren. Dabei sind "Bürgernähe", Namenswechsel, smartes Outfit und Legalisierungsbemühungen doch allenfalls taktisch motiviert und eine Ergänzung zum üblichen Charakter der Szene. Ob Grimmen, Pasewalk oder Wismar - aktuelle Beispiele belegen, dass die Rechten verbal und physisch so militant wie eh und je sind.

Auch die regionale Fixierung auf die Landkreise Ostvorpommern und Uecker-Randow behindert eine objektive Einschätzung. Zwar zeigt sich das Nazi-Biotop dort derzeit am vitalsten. Nur sind auch in Stralsund, Nordvorpommern, Neubrandenburg, Demmin, Rostock und vor allem Mecklenburg-Strelitz die Kameradschaften und NPD-Verbände um eine Konsolidierung und dem Ausbau ihrer Strukturen bemüht.

Kaum wirksame Konzepte

Die Konzepte des Innenministeriums gegen Rechts wurden in den letzten Jahren zwar immer mit großem Brimborium der Öffentlichkeit präsentiert. Aber außer mehr oder weniger erfolgslosem Rumdoktern an den Symptomen kam dabei nicht viel bei rum. Allen voran der "Handlungsrahmen gegen Rechtsextremismus" - im Gegensatz zu anderen Bundesländern ist er nur ein folgenloses Papier ohne Strategie, Verantwortlichkeiten und Finanzen.

Zumindest den Nazikonzerten versuchte man 1999 dann aber doch praktisch etwas mit dem Konzerterlass entgegenzusetzen. Damit sollte polizeiliches Einschreiten erleichtert werden. Schien es damals wirklich Effekte zu geben, finden mittlerweile wieder etliche ungestörte Konzerte im Land statt. Entweder weil die rechte Szene eigene Säle nutzt oder die Polizei vor Ort den Erlass nicht kennt oder kennen will.

Dann wäre da noch die Erfindung der "Kritischen Integration" aus dem Jahr 2000. Die Bereitstellung von eigenen Räumlichkeiten für rechte Gruppen sollte dazu führen, dass diese besser zu kontrollieren seien. Dort sollten "die Rechtsextremisten und ihr Umfeld unbeachtet von der Öffentlichkeit und ohne Außenwirkung ihre Meinung untereinander austauschen und ihre Musik hören." Damit wurde das eigentliche Problem mal eben zur Strategie erhoben, hauptsächlich, um das Bild des Bundeslandes in der Öffentlichkeit zu verbessern und zu vermeiden, dass Rechte medienwirksam im Stadtbild "herumlungern". Glücklicherweise führte wohl allgemeines Desinteresse und die Kritik am Konzept dazu, dass sich Kommunen und Gemeinden nicht daran hielten. So blieb es bei den "üblichen" Übernahmen von Räumlichkeiten durch die rechte Szenen.

Was die Spezialtruppen des Innenministers so treiben und bewirken, ist, vorsichtig gesagt, unklar. Das ABT (Analyse- und Beratungsteam) fällt durch Unauffälligkeit auf. Der Verfassungsschutz bietet derweil alberne Aufkleber an, veröffentlicht Kurznachrichten, die bei Lokalblättern oder links-lang.de fundierter und früher zu lesen sind und kümmert sich um den grassierenden Islamismus in Mecklenburg-Vorpommern. Einige der 50 (!) Beamt/innen der MAEX (Mobile Aufklärung Extremismus) sieht man zumindest bei Aufmärschen, wenn sie artig die neueste Nazipropaganda entgegennehmen. Auch wenn man annimmt, dass einige der PolizistInnen sich bemühen, den Nazis das Leben schwer zu machen, muss die Frage gestellt werden: Was tut eine so große Einheit eigentlich den ganzen Tag und was erreicht sie damit?

Richtungswechsel?

Mit "Besser spät als nie" dürften Optimist/innen die Diskussionen im Landtag beschreiben. In der neuesten Ausgabe der Zeitung "Impulse" vom Landespräventionsrat ändert sich tatsächlich in einigen Texten der Tenor, was wohl auch an anderen Autor/innen liegt. Schon der Titel "Aus der Mitte der Gesellschaft" und konkrete Handlungsoptionen für Medien, Bevölkerung, Wirtschaft und politische Verantwortungsträger überraschen.

Ob dieses Papier aber Folgen hat, bleibt abzuwarten. Denn vor Ort muss das Problem erstmal als solches empfunden werden. Das rassistische Feedback aus Bevölkerung, Politik und Verwaltung auf den "Dschungelheimerlass" beispielsweise und die offensichtlichen Schnittstellen mit der extremen Rechten machen dafür wenig Hoffnung. Ganz zu schweigen von der Akzeptanz für nationalsozialistische Wirtschaftsentwürfe und die neue deutsche Opfersicht auf den Weltkrieg.

Die Parteien müssten also bei ihren eigenen Orts- und Kreisverbänden anfangen. Doch die Parlamentsmitglieder nutzen die Problematik lieber für den Schlagabtausch mit dem politischen Gegner. CDU-Abgeordnete Beate Schlupp glaubt, sich ungebeten mit Initiativen in Vorpommern solidarisieren zu müssen, die höchstwahrscheinlich noch nie etwas von ihr gehört haben. Außerdem würde die PDS den Landstrich schlecht reden. Parteifreund Jäger meinte, die PDS würde den Nazis mit Protesten gegen Hartz IV eine Plattform geben. Peter Ritter führt dagegen "die öffentliche Leugnung des Problems über fast zehn Jahre hinweg" an. Da hat er zweifellos Recht, nur muss er sich aber auch das Verhalten der PDS-Bürgermeisterin von Ueckermünde vorhalten lassen, die im Dezember nichts anderes tat. Auch sein Positiv-Beispiel aus Ostvorpommern vom (erfolglosen!) Verbot des Ahlbecker Naziaufmarsches überzeugt nicht vom bisherigen Engagement der dortigen PDS-Landrätin.

Ernstgemeinter Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus muss konkreter und praktisch werden. Zudem lässt er sich nicht durch ein paar Personalverschiebungen in Behörden verwirklichen, sondern muss mit einer finanziellen Unterstützung für unabhängige Projekte und wirksame Programme einhergehen.

Pessimist/innen werden sagen, die etablierte Politik wird grad in Wahlkampfzeiten eher auf die Stimme des "Volkes" hören - und das sind schlechte Aussichten.

Links

Chronologie rechter Aktivitäten in MV
http://www.links-lang.de/antifa/an2004.php

"Aus der Mitte der Gesellschaft"
Impulse - Informationsblatt für kommunale Kriminalprävention vom April 2004
http://www.kriminalpraevention-mv.de/texte/1114521652.pdf

Minister: Rechte erobern die Mitte der Gesellschaft
Schweriner Volkszeitung, Nordkurier und epd vom 22. April zur Landtagsdebatte
http://www.links-lang.de/presse/2594.php

"Alles nicht so schlimm"
In Ueckermünde wird ein brisanter Report über die lokale Naziszene unter Verschluss gehalten. Die Stadtvertreter lehnen eine Veröffentlichung als Image schädigend ab.
Ostseezeitung vom 09. Dezember 2004
http://www.ostseezeitung.de/archiv.phtml?Param=DB-
Artikel&ID=1508174