links-lang fetzt!

FUCKen sie OFF!

12 Jahre nach dem Pogrom von Lichtenhagen: Gegen Totschweigen und Imagepolitik - Keine Beschönigung deutsche Zustände!

22.08.2004

Der Aufruf der Antifa Rostock zur Kundgebung anläßlich des 12. Jahrestages des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Sie beginnt am 25. August um 16.30 Uhr am Neuen Markt in Rostock.

Dokumentation: Plakat
Dokumentation des Plakates, 427x600, 60 KB
"Wir sind ein Volk!", tönte es 1989 aus Tausenden Kehlen von Demonstrant/innen überall in der DDR. Wenige Jahre später führte der Mob sein Werk eines einig Deutschlands fort: In rassistischen Ausschreitungen machte er sich daran, jene aus dem Land zu brennen, die nicht zur vorgestellten Volksgemeinschaft gehören.

Den vorläufigen Höhepunkt unzähliger Übergriffe auf Menschen nicht-deutscher Herkunft, Jüdinnen und Juden, Obdachlose sowie linke und alternative Jugendliche stellte das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992 dar. Tagelang belagerten mehrere Tausend Rostocker/innen zuerst die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber/innen und anschließend, nachdem die Flüchtlinge evakuiert worden waren, ein von vietnamesischen Vertragsarbeiter/innen bewohntes Haus. Unter tosendem Beifall wurde das Gebäude gestürmt und in Brand gesetzt. Mehr als hundert Bewohner/innen entgingen nur knapp dem Tod, indem sie sich über das Dach in ein Nachbarhaus retteten. Während der gesamten Ereignisse war die Polizei nicht gewillt, der Gewalt Einhalt zu gebieten.

Der deutsche Mob hatte gebrüllt, und die herrschende Elite folgte seinem Ruf. Um Gewalttaten und Ausschreitungen vorzubeugen, sollten die Deutschen vor weiterer "Überfremdung" durch Asylbewerber/innen geschützt werden. Folge der Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen war nicht die konsequente Verfolgung der Täter, der Schutz und die Stärkung der Rechte von Migrant/innen und das Vorgehen gegen Rassismus und Nationalismus, sondern die faktische Abschaffung des Asylrechts.

Deutsche Befindlichkeiten...

Seitdem ist der Umgang mit Menschen nicht-deutscher Herkunft von Rücksicht auf die Befindlichkeiten der lautstarken rassistischen und nationalistischen deutschen Bevölkerung geprägt. Keine Zugeständnisse der Politik im Widerstreit zwischen Anpassung an internationale Standards, Erfordernissen der Wirtschaft und Rücksicht auf nationalen und internationalen Diskurs sind ihr ausreichend genug: Die ehemalige EU-Grenze im Osten bekommt der Mob genauso dichtgemacht wie das europäische Asylrecht eingeschränkt; die überfällige doppelte Staatsbürgerschaft wird ihm nicht anders verhindert als ein nur annähernd modernes Zuwanderungsgesetz.

Nicht einmal materielle Anreize können den Rassisten, deren Hass auf alles Nicht-Deutsche doch so oft mit der eigenen sozialen Unsicherheit und Zukunftsangst erklärt wird, jene schmackhaft machen, über deren Ausgrenzung sie ihre kollektive Identität definieren. Im Zuge der rot-roten Regierungsübernahme in Mecklenburg-Vorpommern sollten jene Flüchtlingsheime, die fern in Wäldern angesiedelt waren, in die Nähe von Ortschaften verlegt werden. Doch auch das Versprechen auf finanzielle Zuwendungen und erhöhte Kaufkraft konnte die überall aus dem Boden geschossenen Bürgerinitiativen gegen Asylbewerber nicht von deren vorübergehender Duldung überzeugen.

Der völkische Rassismus, der Glaube, dass nur in der deutschen Gesellschaft leben kann und darf, wer Deutsche/r ist, und nur Deutsche/r sein kann, wer deutschen Blutes ist, bestimmt den öffentlichen Diskurs hierzulande seit der Konstituierung der deutschen Nation vor 200 Jahren. Im Zusammenspiel mit einem aggressiven Sendungsbewusstsein, das einstmals "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" deklarierte und heute von "deutscher Leitkultur" schwafelt, ergibt sich ein gefährliches Gemisch, das nicht nur von einem emanzipatorischen Standpunkt aus, sondern selbst gegenüber anderen westlichen Gesellschaften rückständig ist.

Dieses deutsche Selbstverständnis wirkt nicht nur nach außen, wie es sich im deutschen Vernichtungskrieg in Europa und der momentanen Dominanz der EU zeigte und zeigt, sondern zudem repressiv nach innen. In der Abschottung gegenüber Flüchtlingsbewegungen und der Ausgrenzung von Asylbewerber/innen, die den lebensgefährlichen Weg in das Land geschafft haben, ist Deutschland mit an der Weltspitze. Flüchtlinge werden bevormundet und ihrer Selbstständigkeit beraubt; sie sind in Lagern untergebracht, müssen mit Gutscheinen ihren Lebensunterhalt bestreiten, sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und zum tagtäglichen Warten auf ihre Abschiebung verurteilt.

... und empfindsame Deutsche

Viele der Bündnisse und Initiativen, die von deutschen Gutmenschen ins Leben gerufen wurden, um der ansässigen Bevölkerung "fremde Kulturen" näher zu bringen, tun ihr übriges, den Sonderstatus von Menschen nicht-deutscher Herkunft zu bewahren. Mit trommelnden Afrikaner/innen und kochenden Vietnames/innen bei multikulturellen Festen beteiligt man sich im Glauben, etwas gutes zu tun, an der Konstruktion von Kulturen, jenen Gebilden, die die Deutschen so lieben. Dass der Begriff der Kultur ein rassistisches Konstrukt ist, dass Menschen in Zwangsgemeinschaften presst statt ihnen die individuelle Selbstentfaltung zu gestatten, wollen oder können jene Initiativen nicht wahrhaben.

Schließlich steht für die meisten von ihnen neben der Beruhigung des eigenen Gewissens die Sorge um das Image ihrer Heimat im Vordergrund. In Rostock bemüht sich seit Jahren der Verein "Bunt statt Braun" um die harmonische Außendarstellung der Pogromstadt. Als 2002 zum Jahrestag von Lichtenhagen vor dem Sonnenblumenhaus, aus dem inzwischen die Nicht-Deutschen erfolgreich vertrieben wurden, ein Volksfest stattfand, stand es unter dem Motto "10 Jahre friedliches Miteinander". In ein solches Wunschbild von der Stadt Rostock passen weder die alltäglichen rassistischen und rechtsextremen Übergriffe noch die erneuten Brandanschläge, die es vor zwei Jahren auf das Sonnenblumenhaus gab - weshalb der Verein sie schlichtweg ignoriert. Lieber holt man in seinen Bemühungen um breite Bündnisse jene ins Boot, die sich in ihrer politischen Praxis für Rassismus zu verantworten haben, und behindert Antifaschist/innen an ihren Aktivitäten.

Eine Politik, die sich der Abschaffung der menschenverachtenden Flüchtlingspolitik und des allgegenwärtigen Rassismus verschrieben hat, kann nur in Gegnerschaft zu den Akteuren der deutschen Zustände stattfinden. Deshalb rufen wir nicht nur dazu auf, immer wieder an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und die unzähligen anderen rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Gewalttaten zu erinnern. Zeigen wir weiterhin, dass unsere Solidarität jenen Menschen gehört, die für ein gleichberechtigtes Nebeneinander hierzulande unabhängig von Staatsangehörigkeit und Herkunft eintreten. Eine emanzipierte Gesellschaft ist nur mit der Überwindung der deutschen Nation zu haben.

Keine Ruhe für Rassisten!
Kein Frieden mit Deutschland!