links-lang fetzt!

Heimsuchungen statt Asyl

Kaum gute Nachrichten für Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern

27.08.2003

Folgender Artikel ist heute in der Antifa-Beilage der jungen welt erschienen.

Zwei Jahre Zeit hatte Mecklenburg- Vorpommern bisher, um die Wohnsituation der hier lebenden Asylbewerber gemäß den Vorgaben des Innenministeriums zu ändern. Im Juli 2001 war eine neue "Verordnung über Mindestanforderungen an Art, Größe und Ausstattung von Gemeinschaftsunterkünften" in Kraft getreten. Statt 4,5 qm stehen den Flüchtlingen nun 6 qm Wohnraum pro Kopf, Aufenthalts- und Sporträume, Teeküchen und Spielplätze für die Kinder zu. In einem Raum sollen nicht mehr als sechs Menschen untergebracht werden, und die Häuser dürfen sich nicht außerhalb von Ortschaften befinden. Zum Vergleich: der Landesbeauftragte für Flüchtlingsfragen von Schleswig-Holstein fordert in seinen "Mindeststandards" 8 bzw. 10 qm pro Person; einer Wohneinheit seien nicht mehr als vier Flüchtlinge zuzuweisen, und an Ausstattung und Betreuung werden detaillierte Ansprüche gestellt.

Der desolate Zustand und die Abgelegenheit vieler der nach 1990 in Mecklenburg-Vorpommern eingerichteten Asylbewerberheime - unrühmlich bekannt geworden ist vor allem Drüsewitz - hatten schon in den 90er Jahren Empörung hervorgerufen und zu zahlreichen Beschwerden geführt. Petitionen von Betroffenen und das Engagement antirassistischer Gruppen sowie einiger Politiker hatten das Thema in den Landtag gebracht und das Innenministerium schließlich zum Handeln gezwungen. Die neuen Bestimmungen sollen spätestens bis Ende dieses Jahres umgesetzt sein. Doch in der Praxis sieht es schlecht damit aus.

Im Jahr 2000 gab es in dem Bundesland 65 Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge. 2002 waren es aufgrund des Rückgangs der Asylbewerberzahlen nur noch 53. Nun wird die Schließung weiterer neun bis zehn Heime notwendig, (in einem Bericht an den Landtag vom Juli 2002 war zunächst von fünf bis sechs die Rede). Dafür entstehen neue Standorte in den Städten Bad Doberan, Güstrow, Neubrandenburg und Neustrelitz sowie in den Landkreisen Nord- und Ostvorpommern, Demmin, Parchim und Mecklenburg-Strelitz.

Erstaunlich ist dabei, daß die Zahl der Heime in den größeren und bedeutenderen Städten der Region tendenziell abnimmt - obwohl im Interesse der Integration gerade das Gegenteil der Fall sein müßte. So existieren seit dem vergangenen Jahr nur noch je zwei Heime in Rostock (gegenüber vier im Jahr 2000) und in Greifswald (früher drei); ein einziges (früher drei) leistet sich die Landeshauptstadt Schwerin.

Als Betreiber wurden gemeinnützige Organisationen wie Arbeiterwohlfahrt und DRK endgültig abgelöst von Versorgungs- und Sicherheitsfirmen. 16 Standorte werden allein von der M&S Heimbetreuungs- und Betriebsgesellschaft unterhalten. Rostock bildet eine Ausnahme: beide Häuser unterstehen dem alternativen Projekt Ökohaus e.V.

Gegen die geplanten neuen Asylbewerberheime regte sich heftiger Widerstand von lokalen Neonazis, von der CDU, von Gewerbetreibenden und auch von Anwohnern. Die Bilanz ist erschreckend: Proteste gab es seit dem Herbst vergangenen Jahres in Bad Doberan, Neubrandenburg, Neustrelitz, Ducherow, Anklam, Wolgast, Grimmen, Jürgenstorf (Demmin) und neuerdings auch in Dabel (Parchim).

Die Reaktionen der Bevölkerung können nicht ausschließlich auf rassistische Einstellungen zurückgeführt werden. Sowohl die Landesregierung als auch die betroffenen Städte und Landkreise haben darauf verzichtet, über die bevorstehenden Maßnahmen aufzuklären. Die Regional- und Lokalpresse berichtete stets erst, wenn es zu spät war; einige Meldungen waren ungenau oder fehlerhaft.

Besonders aggressiv verlaufen die Auseinandersetzungen in den CDU- dominierten Landkreisen Nord- und Ostvorpommern, deren Gemeinden übrigens ihre Asylbewerberheime selbst betreiben. Die CDU scheint dort auf einen regelrechten Boykott der ministeriellen Richtlinien hinzuarbeiten.

Im Landkreis Ostvorpommern entsprechen zwei Heime nicht mehr den genannten Kriterien: das eine, baufällig, in der Stadt Anklam, das andere im Dorf Zirchow bei Garz auf der Insel Usedom. Als Alternativen standen bisher ein Hotel in Ducherow, die ehemalige Kriegsschule in Anklam und ein früheres Verwaltungsgebäude der Wolgaster Peene-Werft zur Auswahl (siehe jW-Bericht vom 25. 1. 2003). Ein Ende der bereits anderthalb Jahre andauernden Kontroversen ist nicht abzusehen.

Die zuständige Landrätin Barbara Syrbe (PDS) trat in der Diskussion öffentlich praktisch nicht in Erscheinung. Sie überließ die Initiative ihrem Vize-Landrat Armin Schönfelder (CDU).

Ein merkwürdiger Vorfall ereignete sich Ende 2002 auf der Insel Usedom. Der Investor einer geplanten Ferienanlage in Zirchow hatte sich bereiterklärt, das "Domitel" in Ducherow zu kaufen und als Asylbewerberheim an den Kreis zu vermieten. Nachdem diese Pläne am Widerstand in Ducherow gescheitert waren, brach im Zirchower Heim ein Großbrand aus, dessen Ursache bis heute nicht endgültig geklärt werden konnte, und bei dem eines der Gebäude zerstört wurde.

Im Landkreis Nordvorpommern sollen vier in Dörfern weit abgelegene Unterkünfte geschlossen werden. Als einzige Alternative dazu wurde bisher ein ehemaliges Altersheim in Grimmen angeboten. Der Stadtpräsident von Grimmen, Harry Glawe (CDU), behauptete der Lokalzeitung gegenüber fälschlich, daß in dem Haus 290 Asylbewerber untergebracht werden müßten und provozierte damit eine Flut von Leserbriefen. In Wirklichkeit hatte der gesamte Landkreis im Jahre 2002 283 Flüchtlinge aufzunehmen. Keiner der regionalen Politiker hat eingeräumt, daß die bisherigen Standorte in Saal und Martensdorf mit je ca. 80 Bewohnern ohne weiteres in Städte wie Barth und Ribnitz-Damgarten verlegt werden könnten. In Ribnitz veräußert die Kommune z.B. ein nicht mehr genutztes ehemaliges Gymnasium. Nach Grimmen kämen nur rund 100 Flüchtlinge aus den Heimen Miltzow und Kakernehl, die freilich in der nur wenige Kilometer entfernten Universitätsstadt Greifswald besser aufgehoben wären.

Die beabsichtigte Wohltätigkeit der Landesregierung gegenüber den Asylbwerbern verkehrt sich auf diese Weise nicht selten in ihr Gegenteil. Auch die Rücknahme der Gutscheinregelung im Juli dieses Jahres und die Lockerung der Residenzpflicht führen nicht zu wesentlichen Verbesserungen der Lage der Flüchtlinge. Soziale und politische Fortschritte können nach wie vor nur durch den Kampf der Betroffenen selbst und ihrer Verbündeten erreicht werden.

Cristina Fischer

Ein 60seitiger Pressespiegel (Word- Datei) zu den Auseinandersetzungen um die Asylbewerberheime in Mecklenburg- Vorpommern von 2002 bis August 2003 sowie Hintergrundmaterial (23 S.) zur Situ-ation von Flüchtlingen in M- V können unter der Mailadresse argumente@t-online.de angefordert werden.

Siehe auch: Cristina Fischer: Erbitterter Streit um neue Standorte von Asylbewerberheimen in Mecklenburg-Vorpommern. Beispiel: Landkreis Ostvorpommern. In: Zeitschrift für Politik und Kultur "Gegenwind" (Kiel), September 2003.