links-lang fetzt!

15.03.2002
"Es ist wichtig, jetzt nicht aufzugeben"

Erklärung des Kultur und Toleranz e.V. zu dem rechten Angriff auf die alternative Jugendeinrichtung in Gadebusch vom 19.02.2002

Die Welle rechtsradikaler Entgleisungen reißt nicht ab. Bereits vor Wochen begann eine Serie gewaltsamer Übergriffe von Neonazis auf- hauptsächlich alternative Jugendliche- die in der Nacht vom 18. auf den 19.02.2002 in der Verwüstung des Veranstaltungsortes des Kultur und Toleranz e.V. gipfelte.

Wir sehen uns bestürzt über die Tatsache, daß zunehmend faschistische Jugendbanden eine Stadt in Nordwest- Mecklenburg terrorisieren, die wir bislang frei von rechtem Gedankengut und deren gewaltsamer Formierung glaubten. Durch die Schaffung eines kulturellen Freiraums gelang es uns in der Vergangenheit, die in der mecklenburgischen Provinz ansteigende rechtsextremistische Mobilisierung und Rekrutierung von Heranwachsenden zu blockieren, so daß sich ein gesellschaftliches Klima der Toleranz, Entspannung und Offenheit in Gadebusch und Umgebung entfalten konnte. Gerade in der Selbstorganisierung ohne Sozialarbeit und Street Worker lernten wir gemeinsam mit den Menschen, die unsere Freizeitangebote in Anspruch nahmen, Verantwortung zu übernehmen- Verantwortung für eines der vielen Projekte, wie Fahrradwerkstatt, Kinderfreizeit oder ein Musikkonzert; Verantwortung für die eigene Zukunft, aber auch für die Gesellschaft in der wir leben.

Mit den jüngsten Ereignissen ist die in der Radegaststadt herrschende tolerante Atmosphäre in ihr Gegenteil umgeschlagen. Aber wie so oft in einer solchen Situation werden jene, die am meisten betroffen sind, in den Kreis der Schuldigen eingereiht. So schreibt die SVZ am Freitag (22.02.) in ihrem Beitrag "Immer mehr Gewalt unter Jugendlichen." von "rivalisierenden rechten und linken Gruppen", zu deren hartem Kern jeweils fünf bis zehn Jungen im Alter von 16 bis 20 Jahren gehören.Während Mike Hartwig vom Lobby e.V. in Wismar richtigerweise feststellte, daß Gadebusch ein Problem mit Neonazis hat, ließen Stadt und Polizei die geneigte Leserschaft wissen, daß an den Ausschreitungen auch linke Jugendliche beteiligt seien.

Es scheint gar so, als ob die rechtsradikalen Übergriffe zum willkommenen Vorwand werden, um mit dem K.U.T. und seinen Gästen abzurechnen; hatte sich doch in den vergangenen Monaten bereits abgezeichnet, daß das Rathaus jede Form von Problemen mit Kindern und Jugendlichen gerne auf unser Konto schreibt. Sprühereien, zerstörte Telefonzellen oder Fensterscheiben werden zur Beruhigung des eigenen Gewissens auf den Kultur und Toleranz e.V. projiziert. Eine derartige Erklärung für aufgestaute Kreativität (wie im Fall von Graffiti) oder purem Vandalismus (wie bei den genannten Zerstörungen) ist fern jeder Jugendsoziologie, die die benannten Straftaten im Kontext von Perspektivlosigkeit, kultureller Ödnis und aufgestauter Frustration zu begreifen hätte. Da solche Ursachen nunmal nicht auf einen alternativen Verein zurückführbar sind (der übrigens zu ihrer Bekämpfung beiträgt), sondern ganz klar in einer verfehlten Politik gründen, wird nach einem Sündenbock gesucht und schließlich in Gestalt des K.U.T. auch gefunden. Eingestehen müssen wir uns jedoch, daß auch unsere Veranstaltungen vor berechtigter Kritik und Mißmut von Anwohnern nicht gefeit sind: Unsere Gäste überschreiten des nachts vielleicht hin und wieder die Grenze der zumutbaren Lärmbelästigung oder haben ein wenig zu viel getrunken. Das unterscheidet sie allerdings nicht von den Besuchern jeder beliebigen Gaststätte oder Diskothek in der Bundesrepublik Deutschland- es macht sie nicht zu den Gewalttätern, die die Stadt gerne in ihnen sehen möchte.

Unter solchen Vorzeichen ärgert und enttäuscht uns die Bewertung der rechten Übergriffe durch die Medien, die Polizei und das Rathaus. Wenn mit Baseballschlägern bewaffnete faschistische Skinheads Menschen durch die Straßen jagen und verprügeln und wir ohnmächtig, ja fassungslos mit ansehen müssen, wie Jahre aktiver Jugendarbeit des K.U.T. empfindlich Schaden nimmt, wenn wir Angst um das Leben und die Gesundheit von Freunden, unseren Familie und nicht zuletzt uns selbst ausstehen, dann wirkt es grotesk, daß wir eben dafür mit verantwortlich gemacht werden sollen. In der ekelhaften Art und Weise die rechte und linke Szene gleichzusetzen, werden neonazistische Gewaltakte als "Stierkämpfe" (SVZ) unter "rivalisierenden Jugendbanden" (SVZ) relativiert. Im Angesicht deutscher Geschichte endet diese nicht hinnehmbare Undifferenziertheit in der Verharmlosung von Solingen, Hoyerswerda, Mölln und Rostock. Dagegen verwehren wir uns aufs Entschiedendste.

Wir fordern deshalb alle betreffenden Stellen auf, die Stimmungsmache gegen uns einzustellen und sich konstruktiv um die Verhinderung weiterer rechter Ausschreitungen zu bemühen. Jedoch darf diese Verhinderung nicht ein weiteres Mal damit enden, daß die Polizei, wie bei unserer letzten Festivität am 22.02. geschehen, die Autokennzeichen unserer Gäste notiert. Wir wollen nicht mehr dafür eingeschüchtert und defamiert werden, daß wir mittels eines alternativen Veranstaltungsangebotes klar Stellung gegen Rechtsextremismus beziehen.

Die Stadt Gadebusch sollte sich endlich die entscheidende Frage stellen, was ihr lieber ist: ein Punk Konzert oder ein Kameradschaftsabend, eine Reaggea Party oder eine Sonnenwendfeier, eine tolerante, lebendige Jugendkultur oder rassistische Pogrome.

Kultur und Toleranz e.V.