links-lang fetzt!

21.10.2001
"Für die Grünen wird sich die Existenzfrage stellen" - Protest gegen die grüne Bundesdelegiertenkonferenz in Rostock


Am kommenden Wochenende findet in Rostock die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen statt. Verschiedene Gruppen wollen demonstrativ Abschied von den Grünen als Friedenspartei nehmen. "Geplant und in Vorbereitung sind u.a. die Beerdigung der Friedenspartei "Die Grünen", eine Kranzniederlegung zum Gedenken an unsere verschiedenen Genossen Frieden, Freiheit und Völkerverständigung - zu früh seid Ihr von uns gegangen !!! - sowie zahlreiche Überraschungen beim Leichenschmaus", heißt es.
Michael Klemmer, stellvertretender Landessprecher des der PDS nahestehenden Jugendverbandes ROT(z)frech, beantwortete freundlicherweise ein paar Fragen.


Ihr bezeichnet den Protest als "Abschied" von und "Beerdigung" der Friedenspartei "Die Grünen". Glaubt Ihr, daß von der Partei außer Sonntagsreden keine Signale einer anti-militaristischen Politik mehr zu erwarten sind?

Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen hat 1999 dem Einsatz deutscher Truppen in Jugoslawien mehrheitlich zugestimmt. Damals war vielleicht noch ein zurück bei den Grünen möglich. Seit dem sind drei Jahre vergangen und die Partei hat viele pazifistische Mitglieder verloren. Heute wird es vielleicht noch einige Mitglieder geben, denen der Kurs ihrer Parteiführung mißfällt. Ich denke allerdings nicht, daß diese noch irgendwie die Beschlüsse der Partei beeinflussen können. Die Partei ist friedenspolitische ausgeblutet und blutet weiter. Daß momentan behauptet wird, die Basis der Partei will eigentlich etwas anderes, halte ich mehr für den Versuch eines klienteltaktischen Spagates, der pazifistischen WählerInnen signalisieren soll, daß sie trotz überwiegender Mehrheit von Kriegsbeführwortern in der Bundestagsfraktion doch eigentlich auch noch irgendwie in dieser Partei vertreten sind. So dumm sind diese allerdings nicht, um diesen Schwindel nicht zu durchschauen. Aber warten wir die Bundesdelegiertenkonferenz ab. Ich lasse mich gerne eines besseren belehren. Nur muß ich das erst einmal sehen, bevor ich es glaube.

Wie bringt Ihr den "Abschied" in Einklang mit der anhaltenden Auseinandersetzung in der Grünen-Basis? Hattet Ihr selbst Diskussionen mit Grünen?

Am Dienstag (vergangener Woche; die Redaktion) gab es eine Podiumsdiskussion in Rostock, die eigentlich das Thema "Innere Sicherheit" abhandeln sollte, dann allerdings doch zur Diskussion zum Thema Krieg und Frieden umgelenkt wurde. Neben der Vertreterin der PDS und Matthias Brotkorb von den Jusos haben alle anderen Parteienvertreter für den Einsatz deutscher Truppen plädiert. Darunter auch Jörg Sauskas von den Grünen. Sein Argument war, jetzt haben wir diesen Krieg begonnen, nun müssen wir ihn auch zu Ende führen, und das gründlich. Das sagt meines Erachtens alles.
Seit dem Kosovokrieg haben viele Grüne ihrer Partei den Rücken gekehrt. Einige davon sind zur PDS gegangen. Darunter auch ein guter Freund von mir. Jeder Austritt bei den Grünen hat natürlich auch den pazifistischen Flügel weiter geschwächt, so daß ich davon ausgehe, daß heute weniger Pazifisten in dieser Partei sind als noch 1999. Deshalb halte ich es für nicht wahrscheinlich, daß sich eine solche Position am nächsten Wochenende in Rostock durchsetzen wird.
Man sollte auch beachten, daß sich bei einem Parteitag niemals die Basis einer Partei trifft, sondern die meisten Delegierten meinen Erfahrungen nach aus der mittleren Funktionärsebene kommen. In dieser Ebene wird mehr nach oben geschaut, als nach unten zur Basis.

Mit bisherigen Ihrer Politik scheinen sich die Grünen von allen früheren Visionen verabschiedet zu haben. Wo seht Ihr die zukünftige Rolle der Partei im sogenannten "etablierten Parteien-Spektrum"?

Je mehr sich die Grünen von ihren Grundthemen verabschieden, mit denen sie gewachsen sind und die sie stark gemacht haben, desto mehr wird sich für diese Partei auch die Existenzfrage stellen. Im Osten ist die Partei niemals richtig gelandet und wird wohl auch kaum noch Potentiale mobilisieren können. Ob die Grünen als westdeutsche Regionalpartei im Westen mittel- bis langfristig noch eine Zukunft haben wird sich wohl in den nächsten Monaten entscheiden. Mit Themen wie Friedenspolitik wird sie nicht mehr punkten können. Auf alle Fälle wird sie als ökoliberale Partei in einen harten Verdrängungswettbewerb mit der FDP eintreten. Ob sie diesen gewinnt, halte ich für fraglich.

Ihr seid ein der PDS nahe stehender Jugendverband. Geht die Partei nicht eigentlich einen ähnlichen Weg wie die Grünen? Von der sozialistischen Oppositionspartei hin zur reformorientierten Koalitionspartei? Zumindest in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie sich öfter über den Tisch ziehen läßt, schien ja der Kosovo-Krieg ihres Koalitionspartners an der PDS vorbeizugehen.

Die PDS hat seit der Regierungsbeteiligung in MV eine Menge Lehrgeld zahlen müssen. Sie hat die engen Grenzen des Gestaltungsspielraums in einer parlamentarischen Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik existiert, erkennen müssen und sie ist auch in manche Falle getappt. Ich hoffe, daß die Partei insgesamt daraus lernt und ihre zukünftige Arbeit darauf einstellt. Jede Partei hat ihren eigenen Ursprung, ihre eigenen Stärken und Schwächen, ihre Geschichte und ihre eigene soziale Basis. Zu sagen eine Partei gehe den gleichen Weg, wie eine andere, ist deshalb meines Erachtens nicht möglich. So wie die Grünen niemals eine sozialistische Partei waren, so hat die PDS auch heute noch einige Defizite in ökologischen Fragen. Die Grünen gibt es erst seit 20 Jahren. Die Wurzeln der PDS gehen dagegen bis zur Gründung der KPD nach dem ersten Weltkrieg zurück und sogar noch weiter.
Ich halte das Projekt PDS als eine sozialistischen Partei in einer kapitalistische dominierten Gesellschaft nach wie vor für eine zutiefst spannende Angelegenheit. Aus den Erfahrungen, auch den noch kommenden, kann die sozialistische Bewegung lernen im positiven und auch im negativen. Die Frage, ob Sozialismus allein durch eine Revolution zu ermöglichen ist oder ob auch innerhalb der kapitalistischen Ordnung bereits zarte Anfänge begründet werden können, halte ich für noch nicht beantwortet. Eine Antwort können hier nur praktische Erfahrungen geben. Das ist das spannende: Zu beobachten, wie sich die PDS in einer Regierung verändert, um aus dieser praktischen Erfahrung Rückschlüsse ziehen zu können, für eine neue linke Strategie.

Beteiligen sich andere Gruppen, die den Krieg ablehnen, auch am Protest gegen die grüne Bundesdelegiertenkonferenz? Wird er vielleicht vom selben Bündnis getragen, daß die regelmäßigen Demonstrationen gegen den Krieg in Rostock organisiert? Wie waren innerhalb des Bündnis die Meinungen zur grünen Delegiertenkonferenz?

Ob das Antifaschistische Jugendbündnis sich insgesamt an dem Protest beteiligen wird, ist noch nicht geklärt. Es wird diese Woche noch ein Treffen geben, bei dem das ein Thema sein wird.